Claudia Schiffer weiß, dass wahrer Glamour erst durch Sehnsucht entsteht. Ein seltener Hausbesuch bei dem Topmodel, das gerade wieder Mutter wurde
In letzter Sekunde, sie lag bereits im berühmten Portland Hospital, autorisierte sie noch dieses Interview. Freitagmittag, punkt 13 Uhr Ortszeit, brachte Claudia Schiffer dann per Kaiserschnitt ihr drittes Kind auf die Welt. Ihre Sprecherin zur "Welt am Sonntag": "Mutter und Baby sind glücklich und wohlauf." Der Name ihrer zweiten Tochter soll erst nächste Woche verkündet werden, "wenn die ganze Familie das Neugeborene begrüßt hat".
Kurz vor der Geburt war man noch zu Hause bei ihr, in ihrem weißen Stadthaus in Notting Hill, wo die Sonne durch die großen Fenster schien. Sie hatte auf dem braunen Samtsofa gesessen - so ruhig und rein wie das Wasser in ihrem Glas war ihre Stimme - und wunderschön ausgesehen in einem grauen Seidenkleid. Man war mit tobenden Gefühlen zu ihr gereist: Claudia Schiffer ist die Verkörperung aller Tugenden und auch noch so schön. Sie ist tüchtig, bescheiden, höflich. Eine, die immer deutsch aussah, und es war einem nie peinlich - wie etwa bei Schreinemakers. Mit ihrer Karriere sind wir groß geworden. Wir waren dabei, als Lagerfeld gejubelt hat: Die schönste Frau der Welt! Und haben dieselbe nicht mehr verstanden, als er sie plötzlich fallen ließ. Dann ihre triumphale Rückkehr. Jetzt ist sie transzendiert in diesen unberührbaren Zustand, dass sie sogar schwanger nackt auf der deutschen "Vogue" sein kann. Eine ganze Ausgabe wurde ihr gewidmet. "Es ist eine Hommage an die Frau, die mal ein Mädchen war, Model wurde, dann Mutter, aber immer auch Freundin geblieben ist", so "Vogue"-Chefin Christiane Arp. Und so saß man in London wie vor einer Statue, voll Ehrfurcht, aber auch neugierig.
Welt am Sonntag: Schön ist es bei Ihnen, Frau Schiffer - hell, modern. Aber auch angekaute Sofaecken, Schokoladenfinger auf den Polstern - man sieht, hier wird auch gelebt!
Claudia Schiffer: Tja, die süßen Spuren einer Großfamilie ... Die Hunde knabbern alles an, und mein Sohn hat die ganzen Kordeln von den teuren, tollen Ledersesseln abmontiert. Aber es ist auch typisch englisch, alles etwas abgewetzt. Hier mag man das gelebte Schicke - Vintage. Bei uns dürfen die Hunde auch aufs Sofa.
Hat Sie das Überwindung gekostet?
Nein, ich mag das sehr, gemütlich, mit Kindern, so ein liebenswertes Chaos. Furchtbar, wenn Häuser aussehen wie ein Museum.
Bei Claudia Schiffer zu Hause duftet es immer nach Chanel, würde man denken. Dieses Sauber-Image, immer die Kühle, Unnahbare zu sein - hat Sie das gestört?
Nein, es ist ja nichts Negatives. Aber ich habe mich schon gefragt, warum man mich so sieht.
Ja, warum? Sind Sie nicht eigentlich ganz sinnlich, ganz wild auch?
Ich bin zurückhaltend, aber alles andere als kühl. Eigentlich bin ich ein warmer Mensch, sehr treu und loyal. Ich bin einfach ausgeglichen, kein Grübler oder Pessimist. Ich mag mich.
Diese Woche schmücken Sie das Cover der deutschen "Vogue": splitternackt und kugelrund! So sinnlich, sexy, frivol hat man Sie nie gesehen.
Es stimmt schon, ich bin heute viel selbstsicherer, auch durch meine Kinder, meinen Mann. Ich weiß, was ich mache, was ich will, ich habe die Kontrolle über mich selbst - ein gutes Gefühl. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich schüchtern war, mit 30 noch. Wobei, ich war innerlich gehemmt, aber nie körperlich verklemmt. Mit dem Nacktsein vor der Kamera hatte ich nie ein Problem, vielleicht auch, weil wir zu Hause ganz natürlich aufgewachsen sind. Da wurde nicht extra angeklopft im Bad. Nein, prüde war ich nie.
Wie erklären Sie Ihrem siebenjährigen Sohn Caspar, dass sich seine Mutter auszieht in Magazinen?
Gar nicht. Caspar geht in die Schule und die Mami, die geht halt Fotos machen. Wenn er jetzt die "Vogue" bei uns sieht, wird er wahrscheinlich sagen, ach, guck mal, Mami, da sieht man noch deinen Bauch mit dem Baby drin. Genauso ist es mit den Paparazzi draußen: Er weiß, das gehört zu Mamis Job. Meine Tochter Clemmie interessiert das alles natürlich viel mehr, wenn hier ständig Taschen oder Couturekleider für Anproben ankommen oder neues Make-up. Sie möchte alles ausprobieren. Dann stöckelt sie schmuckbehängt durchs Haus und macht die große Vorführung. Ihr Schönstes! Ab und zu, wenn ich eine Maniküre habe, darf sie sich auch mal die Nägel lackieren lassen. Aber das ist dann eine absolute Ausnahme. Ich achte schon darauf, dass die Kinder nicht verwöhnt sind. In der Schule tragen sie ja Uniform, und ich bin heilfroh darüber. Gerade weil sie den ganzen Modezirkus durch meinen Job mitbekommen, finde ich es gut, dass sie in der Woche aussehen wie alle Kinder. Das bewahrt noch so eine Unschuld. Mein Sohn weiß natürlich schon genau, dass ein T-Shirt mit den Rolling Stones cooler ist als eins mit kleinen Booten drauf.
Ist man das Modeln nach über 20 Jahren nicht auch mal leid?
Klar, diese Phasen gab's auch. Ich hatte mal ein Burn-out, mit Anfang 30, da habe ich so viel gearbeitet. Ich war erschöpft, einfach ausgepowert. Die Fotoshoots machten mir keinen Spaß mehr, ich wusste es nicht mehr zu schätzen, es wurde zur Routine. Ich dachte nur noch, oh nein, jetzt muss ich schon wieder da und da hin, oh Gott, ich kann gar nicht mehr, eigentlich möchte ich nur noch schlafen, ich bin total kaputt und müde. Ich merkte, ich muss mal eine Pause machen, an einem Ort bleiben, Freunde sehen. Das habe ich dann auch getan - und meinen Mann kennengelernt. Mit ihm hatte ich zum ersten Mal ein richtiges Leben. Als Mutter heute genieße ich es, wenn ich mal wieder rauskomme für einen Job. Ich muss nichts mehr beweisen, ich mache es aus Lust.
Können Sie streng sein als Mutter?
Ich bin mittelmäßig. Ich kann schon auch mal lauter werden und schimpfen, wenn ich müde bin und die mit mir den Molli machen.
Den Molli machen?
Das sagen wir am Niederrhein, wenn sie einfach nicht gehorchen und machen, was sie wollen. Aber wir haben so eine "naughty corner", eine Ecke in der Küche für Ungezogene. Da kann man dann schmollen für fünf Minuten, und wenn man sich beruhigt und entschuldigt hat, ist alles wieder gut.
Der Tag hat 24 Stunden. Wie beschäftigt man Kinder, ohne sie nicht auch mal vor dem Fernseher zu parken? Und kann man den Kleinen heute überhaupt noch folgen in ihre Welt aus Apps und Emoticons - wissen Sie zum Beispiel, wie Sie auf Farmville mit Hühnern handeln?
Nein, ich bin nicht auf Facebook, ich weiß gar nicht, wie das geht. Außerdem, wenn ich nach Hause komme und die Kinder ins Bett gebracht habe, bin ich k. o. Aber ich kann mit Wii "Guitar Hero" spielen! Die ganze Familie ist verrückt danach. Nein, ich habe ein Kindermädchen aus Österreich, das ganz toll ist, auch nur deutsch spricht und so denkt wie ich. Und ich habe Freundinnen, mit denen wechsele ich mich ab. Wir unternehmen viel mit den Kindern, es ist wichtig, dass sie aktiv sind, lernen. Mein Sohn weiß, dass gerade Wahlen waren, und als der Vulkan ausgebrochen ist, haben sie sofort einen in der Schule gebastelt.
Wer ist Ihnen näher: die Queen oder Frau Merkel?
Frau Merkel. England ist mein Zuhause, aber das deutsche Gefühl kommt immer zuerst.
Man kriegt Claudia aus Deutschland, aber das Deutsche nicht aus Claudia.
Ich bekomme oft von Freunden gesagt, dass ich ja "seeehr deutsch" sei. Oder: "Claudia ist ja immer sehr direkt", heißt es dann. Und wenn ich - als Einzige - pünktlich komme, was meist der Fall ist, wird natürlich gesagt: "War ja klar, unsere Deutsche".
Nervt es nicht, permanent auf dieses Deutschsein reduziert zu werden, steckt nicht so viel mehr in Ihnen?
Haha, ja, viel mehr! Ich habe zum Beispiel schreckliche Flugangst, mehr denn je. Und ich kann nicht kochen und Auto fahren.
Wie kommen Sie dann aufs Land mit all den Kindern und Weidenkörben voll Fressalien im Gepäck?
Mein Mann fährt.
Klassisch. Sie sind keine emanzipierte Ehefrau?
Das bin ich trotzdem, ich habe meine eigene Meinung. Wir diskutieren zu Hause viel, etwa über Politik. Mein Mann ist da sehr aktiv, er unterstützt David Cameron und George Osborne, schreibt auch politische Reden. Ich engagiere mich dafür für Afrika, mit Unicef.
Man sieht Ihren Mann nie.
Er begleitet mich schon oft, aber er hält sich dann im Hintergrund. Wenn er wiederum eine Filmpremiere hat, stehe ich ja auch nicht bei jedem seiner Interviews daneben. Wir respektieren gegenseitig unseren Raum. Außerdem ist er zurückhaltend wie ich. Er hat auch nicht diesen Geltungsdrang.
Es heißt, er läuft neuerdings nur noch mit Flinte durch Ihren Garten?
Haha, ach, nein, das muss er auch gar nicht. Wir haben ja unsere Gurkhas. Das ist eine besondere Militäreinheit der Queen, die ursprünglich aus Nepal stammt. Es sind ganz, ganz tolle, liebe Menschen, die dafür bekannt sind, die härtesten Soldaten zu sein. Sie sind fantastisch ausgebildet und arbeiten auch in Privathäusern. Und jetzt passen sie ein bisschen auf. Wir haben sie schon lange, es ist nur erst jetzt bekannt geworden wegen dieses Mannes, der plötzlich in unserer Landküche saß. Da war mein Mann natürlich schockiert.
Wie ist die Arbeit mit Karl Lagerfeld?
Karl ist ein Genie. Er weiß wirklich alles und immer als Erster.
Er war nicht nur Ihr Bewunderer.
Ach, das gehört doch zu unserem Business: in und out.
Pardon, das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich meine, da heult man doch, wenn einer in die Welt posaunt, "Clodia" ist langweilig und out.
Okay, es war schon etwas ungewöhnlich, nachdem ich so lange dabei war. Natürlich war ich kurz traurig und gekränkt. Aber ich habe ein dickes Fell. Wir haben nie darüber gesprochen. Wozu? Hier bin ich wieder.
Ihre Kollegin Kates Moss sieht mittlerweile echt fertig aus, muss man leider sagen. Sind Sie heute froh, dass Sie nie den Versuchungen nachgegeben haben?
Karl trinkt wie ich keinen Alkohol, er hat nie Drogen genommen, nie geraucht. Wir lachen oft, wenn wir morgens um drei noch topfit am Set sind und alle anderen schlafen längst.
Von Heidi bis Hurley vermarkten sich andere mit eigenen Produkten. Sie blieben konsequent Model.
Ich wollte nie nur etwas, auf das ich schnell mal meinen Namen drucke. Ich wollte mich nie leichtsinnig verschenken, dafür habe ich zu lang, zu hart und hochklassig in der Haute Couture gearbeitet, als dass ich meinen Namen jetzt verramsche. Und ich hatte tolle Angebote, die viel Geld und Popularität versprachen, aber ich habe genug verdient. Ich hätte nur etwas gemacht, das auch wirklich zu mir passt. Jetzt habe ich es gefunden: ein Modeprodukt, über das ich leider noch nichts verraten kann.
Sie lösen Heidi Klum bei "Germany's Next Topmodel" ab?
Nein. Diese Shows wurden mir auch angeboten, aber das ist nicht mein Ding. Ich glaube nicht, dass ich Spaß dabei hätte. Klar, wenn ich auf Shootings bin und da sind jüngere Models, gebe ich gerne Tipps. Aber diese Shows sind ja mehr Entertainment, und ich bin das nicht - ein Showstar.
Was sind denn Ihre Träume?
Ich würde zu gern mit Matthew und den Kindern mal für ein paar Monate nach Berlin ziehen und dort leben. Sofort! Er dreht gerade "X-Men", und wenn wir Glück haben, auch in Berlin. Das wäre so toll. Berlin ist für mich wie deutsches Ausland. Deutsch, aber keine Provinz. Alle schwärmen so.
Interview: Dagmar von Taube
[Quelle: www.welt.de]